Titelbild: Wiederaufbau Südflügel; Junk+Reich Architekten BDA in ARGE mit Trabbert+Partner und A24architekten+ingenieure; Foto: Peter Eichler Fotografie
Die 50.000-Einwohnerstadt Lutherstadt Wittenberg, die im Oktober 2017 den 500. Jahrestag des Thesenanschlags des Reformators Martin Luther feierte, hat mittlerweile nicht nur hervorragend sanierte historische Denkmäler zu bieten, sondern steht auch für zeitgenössische Architektur, die sich sensibel in die Umgebung einfügt, Bestehendes weiterbaut und Zerstörtes wieder aufbaut.
Die durchsanierte Altstadt verzeichnet gleich vier Bauwerke, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe gekürt wurden und ist somit zu einem Vorzeigeprojekt für gelungene Interventionen im historischen Kontext geworden. Herausragendes letztes Beispiel ist die bauliche Neuorganisation des Schlosses einschließlich einer von außen unsichtbaren Aufstockung durch das Büro Bruno, Fioretti, Marquez. Das Berliner Büro hat zuletzt durch den abstrakten Wiederaufbau der Gropius-Villa in Dessau internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Das über 800 Jahre alte Gebäude war bereits Schloss, Festung, Kaserne und Museum. Der Umbau schafft nun Raum für das Predigerseminar und für eine Bibliothek. Mit dem Umbau ergänzen die Planer eine raffiniert gegliederte und kubisch ausgeformte Dachlandschaft, ein spektakuläres Treppenhaus und eine zurückhaltende Verbindung zur Schlosskirche, an der Luther seine 95 Thesen angeschlagen haben soll.
Nachdem im Zuge des Reformationsjubiläums 2017 das Predigerseminar seine Räumlichkeiten im Augusteum freigezogen hatte, errichtet es über den weiterhin sichtbaren Fundamenten des ehemaligen Schlosssüdflügels sein neues Unterkunftsgebäude. Nach Süden schließt der Neubau die seit der Zerstörung von 1814 klaffende Lücke im Ensemble und arrondiert den Schlosshof, der nun wieder als Raum erlebbar ist.
Vor dem Hintergrund des Reformationsjubiläums 2017 konnte die Stiftung Luthergedenkstätten das dem Lutherhaus vorgelagerte Collegium Augusteum in seine Nutzung übernehmen. Ein neues Verbindungsgebäude zwischen Lutherhaus und Augusteum sorgt nun für den baulich-räumlichen Abschluss der östlichen Hofflächen. Durch die Konzentration zentraler Besucherfunktionen an dieser Stelle konnten Eingriffe in die historische Bausubstanz minimiert werden.
Rechtzeitig zum Lutherjahr wurde ein neues Besucherempfangszentrum errichtet. Es bildet einen Block aus Bestand und Neubauten und enthält unterschiedliche Funktionsbereiche wie das Stadthaus mit Aula, Archiv und Bibliothek sowie eine Touristeninformation. Dabei integriert es das historische Bestandsgebäude der ehemaligen Franziskaner-Klosterkirche und umschließt mit den eingefügten Bauteilen einen begrünten Hof. Ein gläserner Gang verbindet hofseitig die unterschiedlichen Gebäude miteinander und schafft eine wettergeschützte Verbindung mit interessanten Blickbeziehungen.
Bei der klassischen Baulückenschließung handelt es sich um die Sanierung des Lebens- und Wirkungsortes des Philosophen Philipp Melanchthon und eines benachbarten Erweiterungsbaus für Ausstellungszwecke, Vorträge und dienende Funktionen. Das dreigeschossige Gebäude besticht durch seine klaren Formen, eine geradlinige Gestaltung und eine hohe Materialqualität mit grauem Klinkermauerwerk. Es verzichtet auf eine klassische Dreiteilung von Sockel, Mittelteil und Dach und setzt auf eine selbstbewusste, monolithische Wirkung. Im Inneren ist eine durchgehende, barrierefreie Erschließung beider Gebäude und eine Orientierung der Bereiche für die Museumspädagogik und Vorträge zum rückwärtigen Garten hin möglich.