Inspiriert von dem Buch "Arrival City", in dem der kanadische Journalist Doug Saunders wesentliche Merkmale der "Ankunftsstädte" von Einwanderern beschreibt, kuratierten Peter Cachola Schmal und sein Team vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) den diesjährigen Biennale-Beitrag im Deutschen Pavillon. Wir trafen den Generalkommissar der Ausstellung, die sich mit der Korrelation architektonischer und städtebaulicher Konzepte für den urbanen Raum und erfolgreicher Integration befasste, in einem vietnamesischen Restaurant im programmatischen Frankfurter Bahnhofsviertel. Dort ist Integration seiner Meinung nach gelungen.
Dieses Interview und viele weitere spannende Themen finden Sie auch in der colore. Nummer 14.
Frage: Warum ist Integration hier im Bahnhofsquartier, einem der traditionellen Frankfurter Ankunftsstadtviertel, aus Ihrer Sicht gelungen?
Peter Cachola Schmal: Hier kennt man sich und deshalb hat man keine Angst vor dem Anderssein, dem Fremden. Aus diesem Grund gibt es hier auch keine Fremdenfeindlichkeit. Die findet man eher in Städten, wo der Ausländeranteil gerade mal bei zwei Prozent liegt. Hier im Frankfurter Bahnhofsviertel gibt es eine gute Durchmischung, in den Erdgeschossen sind durchweg kleinteilige Geschäftsräume angesiedelt, in denen sich Einwanderer unterschiedlicher Kulturen mit Friseursalons, Restaurants und Geschäften selbstständige Existenzen aufgebaut haben. Wie man gerade jetzt an uns sieht, profitieren davon alle.
Frage: Die Arrival City ist bezahlbar, lautet eine der acht Thesen, unter denen Sie im Pavillon die Merkmale funktionierender Ankunftsstädte darstellen. Das wünscht sich auch manch ein Deutscher!
Schmal: Das ist richtig. Deshalb behaupten wir auch, dass wir keine Flüchtlingskrise, sondern eher eine Wohnungskrise haben. Bezahlbarer urbaner Wohnraum ist Mangelware und die Politik hat dieses Thema viel zu lange verschlafen. Der Trend, dass die Menschen nicht mehr auf dem Land leben wollen, hat bereits vor zwanzig Jahren eingesetzt. Aber inzwischen zieht es ein Drittel der Weltbevölkerung in die Städte. Und natürlich korreliert das Thema Integration von Einwanderern mit Wohnungsproblemen.
Frage: Abgesehen von der Bezahlbarkeit ist in den Städten aber auch kein Platz. Wie wollen Sie in einer bereits verdichteten Stadt neuen, bezahlbaren Wohnraum schaffen?
Schmal: Noch mehr verdichten. Berlin, beispielsweise, hat in Bezug auf seine Einwohnerzahl bei Weitem nicht das Niveau seiner Vorkriegszeit. Selbst Frankfurt und München könnten wesentlich mehr verdichten. Es gibt hier genügend Gebiete mit Häusern aus den 60er- und 70er-Jahren, die man zugunsten höherer Neubauten abreißen könnte. Für die Leute muss natürlich Ersatzwohnraum von mindestens der gleichen Qualität geschaffen werden. Das Bahnhofsviertel, in dem wir gerade sind, ist ein Stadterweiterungsgebiet. Da hat man 1880/90 sechsgeschossig gebaut. Das trauen wir uns heute in unseren Stadterweiterungsgebieten nicht. Neubauviertel mit zweigeschossigen Reihenhäusern sind Quatsch. Sie müssten vergleichbar sein mit diesem sechsgeschossigen Eckhaus hier gegenüber, mit Geschäften im Erdgeschoss, die über die Qualität des öffentlichen Raums bestimmen. Es ist doch erstaunlich, dass wir vor 120 Jahren weiter waren als heute.
Frage: Wird Ihr Biennale-Beitrag "Making Heimat. Germany, Arrival Country" nachwirken?
Schmal: Wir sind derart oft zu Konferenzen und Symposien eingeladen, dass unser Dreier-Team ausgebucht ist. Ich war kürzlich in Birmingham zur Jahresversammlung der British Housing Industry und in Genf bei der Housing Europe. Da werden die Thesen, die wir aufgestellt haben, diskutiert. Deutschland ist übrigens das einzige Land, welches für die Flüchtlinge, die es im großen Maße aufgenommen hat, tatsächlich baut. In Frankreich, in der Schweiz und meines Wissens auch in Italien wird nicht gebaut. In Birmingham wurde erzählt, man bereite sich vor, um bis 2020 in ganz England 20.000 Syrer aufzunehmen. Da musste ich doch lachen.
Frage: Mit der Öffnung zu drei Seiten haben Sie die Bausubstanz des Deutschen Pavillons, der seit 1996 unter italienischem Denkmalschutz steht, radikal angefasst. Wie haben Sie es geschafft, die Genehmigung zu bekommen?
Schmal: Die Denkmalpflegeleiterin hat unser Konzept verstanden und gesagt, sie würde es als temporäre künstlerische Maßnahme betrachten, wenn wir Öffnungen in die Wände einbringen. Für das Thema "Offenes Deutschland, offenes Europa" brauchten wir ein ungeschütztes, offenes Gebäude. Die Italiener – mit ihrer nicht schließbaren Südflanke – haben das bereits verstanden, bevor ganz Europa nach Norden abgeschottet wurde und sich der Rückstau von allen, die es über das Mittelmeer geschafft haben, nun in Norditalien, unter anderem in der Umgebung von Venedig, bildet. Voraussichtlich im Februar werden wir das Gebäude quasi im Originalzustand an das Generalkonsulat in Mailand zurückgeben.
Das Interview führte Petra Lasar, Köln